Auf dem Flur eines Krankenhauses laufen Pflegekräfte

Verfasst von Sarah Derkaoui|Veröffentlicht am 26.09.2022

Pro & Contra PPR 2.0: Was bringt sie Pflegenden wirklich?

Können die neuen Regelungen den Personalmangel beseitigen?

Endlich Entlastung im Berufsalltag – das versprechen sich viele Pflegende von der PPR 2.0. Die Frage ist nur: Wie funktioniert die neue Pflegepersonalregelung eigentlich genau? Und können die neuen Regelungen den Personalmangel in der Pflege wirklich endgültig beseitigen? Wir haben uns für dich angesehen, ob es sich lohnt, zu hoffen. 

Was ist die PPR 2.0?

Die PPR 2.0 ist eine Erweiterung der ersten Pflegepersonalregelung (PPR), die bereits seit dem Jahr 1992 besteht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach legte im Juli die zentralen Eckpunkte der Weiterentwicklung vor. Hier die wichtigsten Fakten zur PPR 2.0:

  • Verdi, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Pflegerat haben die PPR 2.0 gemeinsam entwickelt
  • Die PPR 2.0 soll auf allen bettenführenden somatischen Stationen im Krankenhaus für Patienten im Erwachsenenalter gelten
  • Ihre Ziele sind eine bedarfsgerechte Patientenversorgung und die Entlastung des Pflegepersonals
  • Sie stellt ein Instrument dar, mit dem Pflegebedarf und Zahl des benötigten Personals rechnerisch ermittelt werden können 

Welche Ziele verfolgt die PPR 2.0?

Die PPR 2.0 möchte Regelungen gegen Überlastung und Belastung in der Pflege etablieren. Als professionell Pflegende:r spürst du jeden Tag, wo der Schuh drückt: Durch den Fachkräftemangel sind die Arbeitsbedingungen auf vielen Stationen eher suboptimal. Hier setzt die PPR 2.0 an.

Mithilfe eines Personalbemessungsinstruments soll der faktische Mehrbedarf in Kliniken und Krankenhäusern festgestellt werden. Doch das ist nur der erste Schritt. Ist der Bedarf ermittelt, sollen angemessene Personalregelungen verpflichtend werden. Dafür sind 3 Stufen vorgesehen:

  • Testphase ab 1. Januar 2023: Krankenhäuser aus einer repräsentativen Auswahl müssen sich verpflichtend an der PPR 2.0 beteiligen
  • Einführungsphase ab 1. Januar 2024: Die Anwendung der neuen Personalregelung wird verpflichtend (Ausnahme: bestehende (tarif-)vertragliche Vereinbarungen zur Entlastung der Pflegefachkräfte)
  • Konvergenzphase ab 1. Januar 2025: Der Umsetzungsgrad für die Pflegepersonalregelung wird festgelegt und stufenweise angehoben, um mehr Personal zu gewinnen.
     

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Wie ist die PPR 2.0 entstanden?

Als professionelle Pflegende:r weißt du: In der Pflege sind Überlastung und Personalmangel vielerorts schon lange ein Thema. Gewerkschaften und Verbände fordern seit Jahren eine umfassende Reform der Personalbemessung. Angesichts eines drohenden Pflegenotstands sieht nun auch die Politik Handlungsbedarf. 

Tatsache ist: Dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lag bereits seit 2020 ein von Verdi, dem deutschen Pflegerat und der DKG ausgearbeiteter Vorschlag zur Überarbeitung der bisherigen PPR vor. Der Vorschlag basiert auf Daten aus 44 Krankenhäusern, die im Jahr 2019 an einem Testlauf für die Ermittlung des realen Personalbedarfs teilgenommen haben.

Im Juli dieses Jahres kam es endlich zum entscheidenden Schritt: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach veröffentlichte ein Papier mit den Eckpunkten zur Einführung der Pflegepersonalregelung PPR 2.0. 

Die Eckpunkte der PPR 2.0

Was bedeutet die PPR 2.0 für deinen Arbeitsalltag auf der Station und wie unterscheidet sich die neue Bedarfsbemessung von bereits bestehenden Regeln? Wir fassen zusammen, was sich ändert.

Neue Einteilung der Pflegekategorien

Tätigkeiten, die du als Pflegefachkraft ausführst, lassen sich in die Kategorie der Allgemeinen Pflege (Stufe A) und der Speziellen Pflege (Stufe S) unterteilen. Zur Stufe A zählen z.B. Mobilisierung, Ernährung und Körperpflege. Stufe S erfasst beispielsweise die Pflege nach Operationen und die Wundbehandlung.

Bisher waren diese beiden Pflegekategorien jeweils in drei Stufen (A1 bis A 3 und S1 bis S3) unterteilt, mit denen die Intensität der jeweiligen Tätigkeiten abgebildet werden sollte. In der PPR 2.0 kommt nun eine vierte Stufe (A4 bzw. S4) für hochaufwendige Leistungen dazu. 

Regelungen zum Tag- und Nachtdienst

Mit der PPR 2.0 soll der Pflegepersonalbedarf in Krankenhäusern aussagekräftig gemessen werden. Dafür braucht es klare und vergleichbare Regelungen. Etwa zur Frage, bis zu welcher Uhrzeit die Tagschicht gemessen werden soll. In der alten PPR galt 20 Uhr als Ende der Tagschicht, in der PPR 2.0 erweitert sich die Messung der Tagschicht bis auf 22 Uhr.

Aufgepasst: Diese Regelung betrifft die Berechnungsgrundlage für den Personalbedarf und bedeutet nicht etwa, dass du in der Tagschicht erst um 22 Uhr Dienstende hast. 🙂

Die PPR 2.0 betrifft, wie auch ihre Vorgängerin, den Personalbedarf im Tagdienst und ist nicht als Bemessungsinstrument für den Bedarf an Pflegenden im Nachtdienst ausgelegt. Für die Personalausstattung im Nachtdienst ist daher lediglich die Zahl der Patienten zu berücksichtigen. Die Grundregel: Im Nachtdienst sollten sich mindestens zwei Pflegekräfte auf Station befinden (davon eine Pflegefachkraft). 

Anhebung von Pflegegrundwert und Fallwert

Die PPR 2.0 teilt Patient:innen einen Zeitwert zu, der den Pflegeaufwand widerspiegelt und somit anzeigt, wie viele Pflegefachkräfte auf der Station benötigt werden. Keine Sorge: Das heißt nicht, dass du ab sofort mit der Stoppuhr von Zimmer zu Zimmer rasen musst.

Wird die neue PPR richtig umgesetzt, sollte in Zukunft eher das Gegenteil passieren. 

  • Pflegegrundwert: Dieser Wert steht für Leistungen ohne direkten Bezug zu den Patienten (wie etwa organisatorische Tätigkeiten). Er wird pro Patient:in und Tag einmal addiert und wurde in der PPR 2.0 von 30 auf 33 Minuten erhöht. 
  • Fallwert: Dieser Wert wird einmalig bei Aufnahmen und Entlassungen von Patient:innen berechnet. Er wurde von 70 auf 75 Minuten angehoben.

Zusammen mit den Werten aus den Pflegekategorien A und S kann somit für jede:n Patient:in ein genauer Zeitwert für den Pflegebedarf ermittelt werden.

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Wie funktioniert die PPR 2.0?

Die PPR 2.0 soll dich entlasten, indem sie allgemeingültige Regeln für eine angemessene Personalbesetzung schafft. Das funktioniert so:

  1. Jede:r Patient:in wird täglich aufs Neue in die passende Versorgungsstufe 1 bis 4 der beiden Pflegekategorien Allgemeine (A) und Spezielle Pflege (S) eingeordnet.
  2. Den 16 möglichen Kombinationen von A1/S1 bis A4/S4 sind jeweils Minutenwerte zugeordnet. Diese werden einmal täglich addiert.
  3. Im nächsten Schritt wird einmal pro Tag der Pflegegrundwert hinzugerechnet.
  4. Am Aufnahme- und Entlassungstag kommt außerdem der Fallwert hinzu.


Dazu ein Beispiel: Du hast eine Patientin bei der morgendlichen Visite und Dokumentation in die Pflegekategorien A2 und S1 eingeteilt. Für A2 sind in der neuen PPR 75 Minuten hinterlegt, für S1 sind es 39 Minuten. Insgesamt ergibt sich für diesen Tag und diese Patientin somit ein Zeitwert für Pflegeleistungen von 114 Minuten. Hinzukommt der Pflegegrundwert von 33 Minuten. 

Der errechnete Zeitwert spiegelt den bedarfsorientierten Pflegeaufwand wider. Für dich heißt das: Endlich kann die Personalplanung auf Grundlage des tatsächlichen Pflegebedarfs stattfinden.

Pro & Contra: Wie lautet die Kritik an der PPR 2.0?

Welche Argumente gibt es Pro & Contra die PPR 2.0? Beginnen wir mit den kritischen Stimmen. 

  • Die Umsetzung der PPR 2.0 erfordert eine Reihe von Maßnahmen, für die in manchen Einrichtungen die Zeit fehlt. Als Pflegende:r musst du erst lernen, wie (und vor allem: wann!) die PPR 2.0 im Arbeitsalltag integriert werden soll. Gerade der Aspekt der Dokumentation lässt noch einige Fragen offen. 
  • Es ist nicht klar, wo die benötigten Fachkräfte herkommen sollen. Die Feststellung, dass mehr Personal gebraucht wird, sorgt nicht automatisch dafür, dass plötzlich mehr professionelle Pflegekräfte existieren. Das frustriert umso mehr.
  • Statt einer Nurse-to-Patient Ratio, also einem Verhältnis zwischen der Anzahl an Pflegenden und der Anzahl an Patient:innen, werden in der PPR Pflegeminuten gemessen. Dabei ist gerade ersteres besonders aussagekräftig für erfolgreiche Pflege.
  • Das Konzept der Pflegekategorien ist noch unklar. Sind damit die durchgeführten Tätigkeiten gemeint? Oder sind es diejenigen pflegerischen Handlungen, die als notwendig erachtet werden? Hier besteht Klärungsbedarf.

Auch, wenn die Kritik zumindest teilweise berechtigt ist: Die PPR 2.0 ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dafür spricht auch das wohl stärkste Pro-Argument:

Endlich kommt Bewegung in die Situation der Pflege. Und endlich haben es Krankenhäuser, Gewerkschaft und Pflegevertreter gemeinsam geschafft, sich auf eine konkrete Maßnahme zu einigen, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken kann. Wie erfolgreich die PPR für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege sein wird, muss allerdings die Zukunft zeigen.

Fazit: Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die PPR 2.0 den Personalmangel beseitigen kann!

Wir finden: Die Einführung der PPR stimmt optimistisch. Die PPR 2.0 zeigt, dass die Forderungen von Pflegefachkräften wie dir in der Politik gehört werden – höchste Zeit, auch weitere Themen wie eine angemessene Bezahlung anzugehen. Was die PPR betrifft, gilt es jetzt, abzuwarten. Wie wirksam das neue Bemessungsinstrument in der Praxis sein wird, werden die nächsten Jahre zeigen.