Eine alte Frau und eine Pflegerin sitzen nebeneinander

Verfasst von Inga Beißwänger|Veröffentlicht am 07.04.2022

Selbstbestimmung in der Pflege: Warum ist sie wichtig?

Was bedeutet Selbstbestimmung und wie gehst du damit in der Pflege um?

Du kennst das bestimmt aus dem Pflegealltag: Eine ältere Dame bleibt lieber in ihrem Zimmer im Seniorenheim statt an den gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen. Außerdem trinkt sie zu wenig. Für dich als Pflegekraft stellt sich dann die Frage: "Wie gehe ich mit dieser Situation um?" Die Pflege-Charta bringt Klarheit. 

Was also tun, wenn ein Patient oder eine Bewohnerin nicht mit dem einverstanden ist, was du anbietest? Wenn es vielleicht sogar so weit geht, dass die Gesundheit gefährdet ist? Dann kollidieren möglicherweise verschiedene Rechte miteinander. Umso wichtiger ist es, über die grundsätzlichen Rechte von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen Bescheid zu wissen. 

Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf haben selbstverständlich die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen auch. Das betrifft zum Beispiel das Recht auf ein Leben in Würde, Freiheit und Selbstbestimmung. 

Rechtsstellung pflegebedürftiger Menschen stärken

Eine Grundlage für die Selbstbestimmung speziell in der Pflege ist die Pflege-Charta. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verabschiedete sie im Jahr 2005. Erarbeitet wurde die Pflege-Charta in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe „Runder Tisch Pflege“, an der viele Vertreter aus Verbänden, Ländern und Kommunen, der Praxis und Wissenschaft teilnahmen. 

Das BMFSFJ definiert als Ziel der Pflege-Charta, die Rolle und die Rechtsstellung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen zu stärken. Dazu werden in acht Artikeln deren grundlegende Rechte zusammengefasst.

Diese acht Artikel lauten: 

Artikel 1: Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Hilfe zur Selbsthilfe sowie auf Unterstützung, um ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen zu können.

Artikel 2: Körperliche und Seelische Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, vor Gefahren für Leib und Seele geschützt zu werden.

Artikel 3: Privatheit

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Wahrung und Schutz seiner Privat- und Intimsphäre.

Artikel 4: Pflege, Betreuung und Behandlung

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf eine an seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete, gesundheitsfördernde und qualifizierte Pflege, Betreuung und Behandlung.

Artikel 5: Information, Beratung und Aufklärung

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf umfassende Informationen über Möglichkeiten und Angebote der Beratung, der Hilfe und Pflege sowie der Behandlung.

Artikel 6: Kommunikation, Wertschätzung und Teilhabe an der Gesellschaft

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Wertschätzung, Austausch mit anderen Menschen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Artikel 7: Religion, Kultur und Weltanschauung

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, seiner Kultur und Weltanschauung entsprechend zu leben und seine Religion auszuüben.

Artikel 8: Palliative Begleitung, Sterben und Tod

Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, in Würde zu sterben.

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Leitlinie für Qualität in der Pflege

Die Pflege-Charta hat nicht nur die Hilfe- und Pflegebedürftigen im Fokus. Sie appelliert an alle, die sich beruflich oder privat für das Wohl von Menschen in der Pflege einsetzen. Sie ist Maßstab für eine würdevolle Pflege. 

Und sie spart auch jeden Einzelnen nicht aus, der verantwortlich ist für eine selbstverantwortliche und gesunde Lebensführung. Diese kann wiederum wesentlich dazu beitragen, Hilfe- und Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern, zu mindern oder zu überwinden.

Was bedeutet das konkret für dich als Pflegekraft?

Nun, grundsätzlich hast du zwar den Willen der Pflegebedürftigen zu akzeptieren. Jede Art von Zwang verbietet sich, da dieser ein Verstoß gegen die Würde und Selbstbestimmung ist. Doch du kannst etwas anderes tun: Bei dem Beispiel mit der älteren Dame, die nicht mehr trinken und rausgehen will, wäre es wichtig herausfinden, warum sie so handelt. Also: Sprich mit ihr – natürlich einfühlsam und ohne Druck. So erfährst du den wahren Grund: Vielleicht leidet sie unter einer beginnenden Harninkontinenz und befürchtet, wenn sie viel trinkt und öfters ihr Zimmer verlässt, es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette zu schaffen. Biete ihr deine Unterstützung an – etwa, indem du ihr klar machst, dass Inkontinenz gar nichts Schlimmes ist und ihr Inkontinenzeinlagen anbietest. Nenne ihr auch die Vorteile, die sie erhält, wenn sie mehr trinkt und öfters rausgeht – etwa einen klareren Kopf und mehr nette Gesellschaft.  
 

Definition Selbstbestimmung

Was genau bedeutet Selbstbestimmung? Eine mögliche Definition bietet die Selbstbestimmungstheorie von Richard M. Ryan und Edward L. Deci. Die beiden kanadischen Psychologen gehen davon aus, dass Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit Grundbedürfnisse und wichtig sind für unser Wohlergehen. Werden diese Bedürfnisse nicht oder nur ungenügend erfüllt oder sogar fremdbestimmt, kann dies zu erlebter Frustration mit möglichen psychischen und physischen Auswirkungen führen.

Urteilsfähigkeit ist entscheidend

Grundsätzlich gilt: Solange eine Person urteilsfähig ist, musst du ihre Selbstbestimmung respektieren. Doch woher weißt du, ob sie noch urteilsfähig ist? Und welche Wünsche sie hat? Ganz besonders, wenn schon eine demenzielle Erkrankung vorliegt oder wenn ein Patient zu krank ist, um sich zu äußern?

In diesem Fall ist es sehr hilfreich, sich mit den Angehörigen auszutauschen. Beispiel: Eine ältere Dame kommt in das Seniorenheim, in dem du arbeitest. Frage ihre Angehörigen nach Gewohnheiten und Ritualen, die sie in ihrem Tagesablauf gewöhnt ist. Auch, was sie gerne und nicht gerne isst, kann eine wichtige Information sein. Ebenso, wie sie selbst die Körperpflege gestaltet hat, als sie es noch konnte. Auf diese Punkte nach Möglichkeit im Pflegealltag einzugehen fördert das gegenseitige Verständnis. Schwierigen Situationen wie der Essensverweigerung wird so bestmöglich vorgebeugt. 

Austausch mit Angehörigen

Der Austausch ist umso wichtiger, wenn schon eine gesetzliche Betreuungsperson eingesetzt worden ist oder eine nahestehende Person eine Vorsorgevollmacht besitzt. Eine Patientenverfügung bringt zusätzlich Klarheit über die Wünsche einer Person in Sachen medizinischer Behandlung.  
Jeder von uns hat das Bedürfnis, das eigene Leben nach dem eigenen Willen zu gestalten. Dieses Bedürfnis nach Selbstbestimmung hat auch seine guten Seiten: Sie kann Antrieb geben, mehr für die eigene Gesundheit zu tun und möglichst lang möglichst unabhängig zu leben. 

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Warum ist das Selbstbestimmungsrecht in der Pflege wichtig?

Die Pflege-Charta gibt eine gute Richtschnur für das Selbstbestimmungsrecht. Wenn du dir trotzdem mal unsicher bist, wie du damit umgehen sollst, wenn jemand beispielsweise häufiger das Essen verweigert oder nur noch allein im Zimmer sitzt, besprich dies mit deinen Vorgesetzten. Gemeinsam und mit mehr Erfahrung ist es einfacher, eine Lösung zu finden.  

Dass das Bedürfnis nach Autonomie nicht aufhört, wenn jemand im Krankenhaus oder im Seniorenheim ist, klingt logisch, oder? Du würdest ja auch nicht wollen, dass über deinen Kopf hinweg entschieden wird. Daher ist es umso wichtiger, dass du dir diesen Punkt als Pflegefachkraft klar machst und die Wünsche der Menschen, die du mit deiner Arbeit unterstützt, respektierst. Nicht nur, weil du gesetzlich dazu verpflichtet bist. Sondern auch, weil du sicherlich ein gutes Verhältnis mit den pflegebedürftigen Personen anstrebst. Wenn du weißt, was deren Wünsche sind, fällt es leichter, diese zu respektieren. Damit sorgst du gleichzeitig für dich selbst und dein Pflegealltag wird angenehmer. 

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