Eine Ärztin hält die Hände einer Frau

Verfasst von Sarah Derkaoui|Veröffentlicht am 11.08.2022

Was ist Ethik in der Pflege & warum ist sie so wichtig?

Was bedeuten die ethischen Prinzipien für deinen Alltag?

Im Arbeitsalltag als Pflegekraft musst du in sowieso schon herausfordernden Situationen häufig wichtige Entscheidungen treffen – und das meist ziemlich schnell. Wie das am besten klappt? Hier kommt Ethik in der Pflege ins Spiel. Ihre Prinzipien sollen dir eine Art Wegweiser für dein Handeln im Pflegealltag bieten. Was das genau bedeutet, welche Rolle der ICN-Ethikkodex dabei spielt und warum Pflegeethik so wichtig für Pflegende und Gepflegte ist, liest du in diesem Artikel.

Was ist Ethik & was ist Ethik in der Pflege?

Ethik ist ein Begriff, den du sicher schon oft gehört hast. Und wenn du dabei an Moral, Werte und Anleitungen zu verantwortungsvollen Handeln denkst, liegst du goldrichtig:

Ethik ist

  • das Nachdenken über wertebasiertes Handeln

  • die Hilfe zur Orientierung von Entscheidungen an übergeordneten, moralischen Prinzipien

  • die Basis für die Entwicklung von Handlungskompetenz in kritischen Situationen


Diese Definition gilt im Grunde genommen auch für Ethik in der Pflege. Doch es geht noch etwas genauer: Pflegeethik ist eine Art Hilfestellung, die dir ermöglichen soll, dein pflegerisches Handeln an universalen, moralischen Werten zu orientieren. Ziel ist das Erreichen von ethischer Handlungskompetenz. 

Klingt kompliziert? Stark vereinfacht geht es darum, eine Art inneren Kompass zu entwickeln, der dir dabei hilft, in Krisensituationen schnelle Entscheidungen treffen zu können. 

Wie du sicherlich am allerbesten weißt, ist das im Pflegealltag besonders wichtig. Du erlebst es täglich – Pflegebedürftige befinden sich dir gegenüber in einer Abhängigkeitssituation und sind (manche mehr, manche weniger) auf deine Hilfe angewiesen. Und das bedeutet wiederum: Weil zu Pflegende so verletzlich sind, sind moralisches, empathisches Handeln und die Wahrung der Menschenwürde die Grundlagen deiner Berufspraxis.

Welche ethischen Prinzipien gibt es in der Pflege?

Für den Bereich der Pflege und Medizin haben die beiden Wissenschaftler Beauchamp und Childress vier ethische Prinzipien formuliert, die das Fundament der Pflegeethik bilden. Das sind: 

  • Das Autonomie-Prinzip
  • Das Wohltuens- bzw. Fürsorge-Prinzip
  • Das Nicht-Schadens-Prinzip
  • Das Prinzip der Gerechtigkeit

Diese vier Prinzipien der Medizinethik sollen im beruflichen Alltag Orientierung bieten. Du kannst sie quasi als eine Art Anleitung zum moralischen Handeln sehen. Statt eines klaren Richtig/Falsch-Schemas sollen diese Prinzipien ein Handwerkszeug darstellen, das dir dabei helfen soll, herausfordernde Situationen im Berufsalltag zu bewältigen.

Doch was genau bedeuten diese vier Prinzipien nun für dich? Wir verraten es dir im Folgenden.
 

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Was sind die 4 ethischen Prinzipien in der Pflege?

1. Das Autonomieprinzip 

Dieses Prinzip für Ethik in der Pflege bedeutet, dass du das Selbstbestimmungsrecht der Patient:innen immer respektieren und ihren Willen berücksichtigen solltest. Pflegerische Maßnahmen, die gegen den Willen der zu Pflegenden sind, solltest du unterlassen.

Beispiel: Als Pflegefachkraft gehört es zu deinen Aufgaben, pflegebedürftige Personen über bevorstehende Pflegemaßnahmen aufzuklären und ihre Zustimmung für diese einzuholen. Doch es gibt Grenzen: Verweigert der oder die Pflegebedürftige beispielsweise die Nahrungsaufnahme, wird das Autonomieprinzip vom Fürsorge-Prinzip ‘abgelöst’. Pflegepersonal und Ärzteschaft müssen in diesem Fall im besten Interesse des zu Pflegenden handeln, um dessen Leben zu schützen. 

2. Das Fürsorge-Prinzip

Als weiterer Orientierungsmaßstab für das Handeln in der Pflege kommt die Verpflichtung hinzu, therapeutische Maßnahmen am Wohlergehen der zu Pflegenden auszurichten. Dieses Prinzip ist eng mit dem Autonomieprinzip und dem Nicht-Schadens-Prinzip verknüpft und muss mit diesen in Balance gebracht werden.


Beispiel: Ein geistig eingeschränkter Bewohner leidet unter Bewegungsstörungen, die bereits zu Stürzen aus dem Bett geführt haben. Um das zukünftige Sturzrisiko möglichst gering zu halten und das Wohlergehen des Pflegebedürftigen zu schützen, sind geeignete Maßnahmen nötig. Die Entscheidung für oder gegen eine Fixierung (oder andere Optionen) muss dabei sorgfältig gegenüber dem Autonomieprinzip und dem Prinzip der Non-Malefizienz abgewogen werden.

3. Das Nicht-Schadens-Prinzip (Prinzip der Non-Malefizienz)

Hier geht es darum, Schaden und Nutzen von Pflegemaßnahmen sorgfältig abzuwägen. Durch das pflegerische Handeln soll pflegebedürftigen Personen kein unnötiges Leid zugefügt werden und unangemessene negative Effekte sollen vermieden werden. Entscheidend ist dabei die Perspektive der Betroffenen, also des Patienten oder der Patientin. Dabei müssen zudem die beiden oben genannte Prinzipien, also das Autonomie- und das Fürsorge-Prinzip berücksichtigt werden.

Beispiel: Mit einem älteren, demenzkranken Bewohner eines Altenheims sollen mobilitätsfördernde Übungen zur Sturzprophylaxe durchgeführt werden, um seine Bewegungsfähigkeit zu erhalten und zu unterstützen. Der Bewohner lehnt dies jedoch ab, da ihm die Übungen zu anstrengend sind. Solltest du in diesem Fall Druck ausüben oder den Patienten zwingen? Selbstverständlich keine Option! Hier gilt es, das weitere Vorgehen mit Pflegeleitung und Ärzteschaft abzusprechen. 

4. Das Prinzip der Gerechtigkeit 

Das Prinzip der Gerechtigkeit ist relativ selbsterklärend: Es steht für Fairness in der Pflege. Damit soll sichergestellt werden, dass Pflegebedürftige nicht aufgrund persönlicher Merkmale benachteiligt und diskriminiert werden. Alle Menschen haben einen gleichen Anspruch auf Unterstützung und pflegerische Leistungen.

Beispiel: Auch, wenn du manche Bewohner oder Bewohnerinnen vielleicht netter findest, als andere – auf die professionelle und empathische Durchführung der nötigen Pflegemaßnahmen bei allen zu Pflegenden hat das keinen Einfluss. Klar, denn: Das Recht auf Pflege gilt ungeachtet von Hautfarbe, Herkunft, Religion und sozialem Status.
 

Was sind ethische Konflikte in der Pflege?

Als Pflegefachkraft bist du Pflegebedürftigen so nah, wie sonst nur sie selbst. Und gerade bei Menschen mit geistigen Einschränkungen, die sich ihrer Lage nicht mehr bewusst sind, liegt es oft an dir, Entscheidungen zu treffen, die ihre Würde bewahren, ihre Privatsphäre schützen und sich gleichzeitig an den vier ethischen Prinzipien der Pflege orientieren.

Bei so vielen einflussnehmenden Faktoren in der professionellen Pflege, ist es kaum zu vermeiden, dass es hier zu ethischen Konflikten kommt.

Was sind ethische Konflikte?

Ethische Konflikte sind Spannungen, die entstehen, wenn die vier Prinzipien der Autonomie, der Fürsorge, der Gerechtigkeit und der Non-Malefizienz nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen sind. 

Ein in der öffentlichen Diskussion immer besonders präsentes Beispie hierfür ist etwa die Sterbehilfe. Doch nicht alle ethischen Konflikte in der Pflege betreffen so fundamentale Aspekte wie Leben und Tod. Dir fallen sicher einige Situationen aus dem Pflegealltag ein, in denen du einen inneren Wertekonflikt erlebt hast. Vielleicht hast du dir bereits folgende Fragen gestellt:

  • Wie geht man mit einem Patienten um, der sich motorisch unruhig oder gewaltbereit und herausfordernd verhält?
  • Wo liegt die Grenze zur Entscheidung für eine mechanische Fixierung oder gar eine Sedierung?
  • Wie kommt man bei demenzkranken Menschen, bei denen die Kommunikation nur eingeschränkt funktioniert, zu ethisch begründbaren Entscheidungen bezüglich pflegerischer Maßnahmen?
  • Was kannst du als Pflegekraft tun, wenn Pflegebedürftige unverantwortlich handeln oder entscheiden?
  • Was ist zu tun, wenn das, was gesetzliche Betreuer als Willen des Pflegebedürftigen formulieren, sich von dem unterscheidet, was die betroffene Person täglich gegenüber dir als Pflegekraft äußert?

Fakt ist: Es gibt kein Richtig/Falsch-Schema, das dir in solchen herausfordernden Momenten eine schnelle Lösung bietet. Stattdessen treffen wir solche schwierigen Entscheidungen immer wertebasiert – auch, wenn das oft unbewusst ‘aus dem Bauch heraus’ geschieht.

Ein weiterer Teil von Ethik in der Pflege, der dir dabei helfen, bzw. dir eine Orientierung für die Entscheidungsfindung im Alltag bieten soll, ist der ICN-Ethikkodex.

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Was ist der ICN-Ethikkodex?

Der ICN-Ethikkodex ist eine Art Leitfaden für werteorientierte Pflege, der im Jahr 1953 erstmals vom International Council of Nurses (ICN) vorgestellt wurde. Zuletzt aktualisiert und erweitert wurde er 2021. Auch er enthält die vier ethischen Prinzipien der Pflege, geht aber noch darüber hinaus. Die Wahrung der Menschenwürde und das Recht auf Leben sind die Grundelemente dieses Wertekompasses, auf dessen Einhaltung sich professionell Pflegende weltweit verpflichtet haben.

Was sagt der ICN-Ethikkodex für Pflegende?

Der Kodex bietet eine Orientierungshilfe für werteorientierte Pflege. Dabei werden verschiedene Bereiche des Pflegeberufs thematisiert. Es handelt sich um ein Gerüst, das professionell Pflegenden dabei hilft, ihr Verhalten und Handeln gegenüber Pflegebedürftigen, deren Angehörigen und dem Kollegenkreis auf der Basis von moralischen Werten auszurichten. 

Der ICN-Ethikkodex ist also kein Verhaltenskodex, der Vorschriften und Regeln enthält, an die du dich in deinem Berufsalltag halten musst. Ganz im Gegenteil: Als Leitlinie möchte er dich dabei unterstützen, in Pflegesituationen verantwortungsvoll und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Werte handeln zu können. 

Warum braucht man Pflegeethik?

In der Pflege findest du dich als Pflegender täglich in einer sehr ungleichen Beziehung wieder. Du erlebst die Verletzlichkeit Pflegebedürftiger, ihre Angewiesenheit auf dich und Andere und nimmst durch deine pflegerischen Aufgaben oft intensiver als die engsten Angehörigen wahr, was der zu Pflegende gerade benötigt.

Nach diesem Artikel liegt es für dich daher sicher auf der Hand, warum Ethik in der Pflege so wichtig ist. Die Pflege ist so eng wie kein anderer Beruf mit fundamentalen Aspekten wie Menschenwürde, universellen Menschenrechten, Empathie und Fürsorge verbunden.

Fazit: Ethik in der Pflege ist Wegweiser und Sicherheitsnetz zugleich!

Der ICN-Ethikkodex und die vier ethischen Prinzipien in der Pflege helfen dir dabei, ethische Konflikte im Pflegealltag zu beurteilen und moralisch begründbare Entscheidungen zu treffen.Einerseits sorgt das Einhalten von Prinzipien der Ethik in der Pflege dafür, dass du Handlungskompetenz für die werteorientierte pflegerische Praxis erwirbst. Andererseits kann man hier auch ein “Versprechen” aller Pflegekräfte an die Gesellschaft erkennen: Indem du dich stets an der Pflegeethik orientierst, sorgst du für eine sichere, empathische und wertschätzende Pflege – die Pflege, die sich jede:r von uns nur wünschen kann.